Der Spaziergang (Dez. 2020)

Der Spaziergang – ein Text von Christina Rehr

Heute war ich im Park spazieren.
Die Strecke war dieselbe wie so oft
und doch war heute alles anders.
Heute spürte ich Frieden in mir.

Ich gehe die Treppenstufen hinunter zu meinem Lieblingsplatz.
Hier herrscht für mich stets ein bisschen Magie
und heute spür ich sie ganz besonders.
Der kleine Platz mit dem Brunnen in der Mitte,
auf dessen Sockel ein goldener Hirsch thront,
ist belebt von Jung und Alt.
Zwei Gruppen mit Menschen unterschiedlichen Alters spielen Boule,
während ein paar Kinder juchzend um den Brunnen rennen.
Rechts von mir sitzt ein älteres Paar,
er im Rollstuhl, sie auf der Bank – händchenhaltend.
Sie scheinen ganz ich sich versunken,
unterhalten sich geradezu flüsternd.
Mir wird ganz warm ums Herz während ich sie anschaue.
Und so gerne wüsste ich, was diese beiden Menschen
mir von ihrem Leben berichten würden.

Ich spüre Frieden in mir und merke,
wie sich meine Mundwinkel nach oben ziehen.
Etliche der mir entgegenkommenden Menschen lächeln mich an,
was mich noch glücklicher macht.

Schritt für Schritt setze ich meine Füße auf den Weg durch den Park.
Menschen kommen mir entgegen, einer anders als der andere.
Und heute fühl ich mich mit allen verbunden.
Ich schnappe Gesprächsfetzen auf von dem Mann und der Frau,
die mir entgegenkommen.
„Und wann gehst du da immer hin?“, fragt er.
„Jeden Tag nach der Arbeit“, antwortet sie und lächelt.
Ich kann die Verbundenheit zwischen den beiden spüren
und frage mich, worum es in dem Gespräch wohl geht.
Ich würde so gerne mehr wissen
aber die beiden sind längst vorbeigegangen.

Während ich am Spielplatz vorbei spaziere
höre ich lautes Kinderlachen, Geschrei, Juchzen, Weinen und ein lautes Kichern.
Kinder auf kleinen Fahrrädern kommen mir entgegen
und ihre teils konzentrierten, teils verträumten Gesichter
zaubern mir ein Lächeln auf meine Lippen.
Es gibt eine Szene, die mich besonders erfreut.
Ein Kind, dass auf einer Schaukel sitzt
strahlt übers ganze Gesicht
und jedes Mal, wenn sein Vater die Schaukel anschubst,
höre ich ein lautes und glucksendes Lachen.
Ich spüre Frieden in mir.

Ich laufe vorbei am Hundeplatz, der recht belebt ist.
Große und kleine Hunde tollen hier um die Wette.
Und während mir Jogger entgegenkommen
und ich Familien, Freunden und Paaren entgegenschlendere
fühle ich mich komplett und geborgen.

Ich blicke über die Wiesen,
auf denen ein paar Kinder fangen und ein paar Jugendliche Frisbee spielen,
Ein paar einzelne Erwachsene praktizieren Qi Gong,
während nicht weit von ihnen Muskeln mit Liegestützen gestärkt werden.
Die kalte Luft bläst mir um die Nase und ich atme sie tief ein.
Und seufze sie laut wieder aus.
Ich schaue mir die Bäume an, die am Wegesrand stehe
und so mancher Stamm sieht aus, als würde ein Waldgeist darin wohnen.
Ich genieße meinen Spaziergang und freue mich über meinen Park,
der mir heute so ein besonderes Geschenk gemacht hat.

Auf meinem Heimweg durch die kleinen Straßen
mit Geschäften, Cafés und Restaurants
höre ich auf einmal aus der Ferne einen Jungen singen.
„In der Weihnachtsbäckerei.“
Immer und immer wieder wiederholt er fröhlich diese 3 Wörter.
Auf einmal ertönen dieselben direkt hinter mir.
Ein Mädchen, das mit ihrem Vater unterwegs ist,
singt lauthals los.
„In der Weihnachtsbäckerei.“
Die beiden Kinder, die sich höchstwahrscheinlich nicht kennen,
und sich auf gegenüberliegenden Straßenseiten befinden,
singen nun abwechselnd in unterschiedlichem Rhythmus
und in unterschiedlichen Tonhöhen.
Nur der Text ist derselbe.
Drei Wörter.
Ich denke an mein Kindheitsidol,
dessen Melodien und Botschaften
ich auch heute noch in meinem Herzen trage,
doch die Eltern dieser beiden singenden Kinder
haben wahrscheinlich ein eher ambivalentes Verhältnis zum Künstler.
Ob das Mädchen und der Junge jemals über den Liedanfang hinausgekommen sind werde ich wohl nie erfahren.

Als ich in meine Straße einbiege,
spüre ich Dankbarkeit und Freude.
Wie schön, dass ich diese Entscheidung getroffen habe,
heute wieder rauszugehen,
in meinen Park.

Ich bin zurück von meinem Parkspaziergang.
Die Strecke war dieselbe wie so oft.
Und doch war heute alles anders.
Heute spüre ich Frieden in mir.

© Christina Rehr, 12. Dezember 2020, Berlin

Der Spaziergang_Christina Rehr (pdf)

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