Sei willkommen, im Wattenwunderland,
schau dir die Wunder an,
die unbegreiflich sind. Doch greifbar rinnt der Sand durch meine Hände,
deren Fingerspitzenende eine andere Welt berühren.
Ich will dich entführen in ein Wunderland voller Schönheiten,
voll mit Inspirationen und endlosen Weiten.
Komm mit mir ins Wattenwunderland, nimm meine Hand
und lass uns den Meeresgrund betreten,
der grad noch mit Wassermassen bedeckt,
nun seine freie Fläche der Sonne entgegen reckt.
Lass uns eintreten in dieses Bildnis der Natur,
lass uns einen Besuch abstatten auf den Fußbodenmatten der weiten See
und geh mit mir ein Stück,
bevor das Wasser zurückkehrt und diese Welt bedeckt.
Komm, ich nehm dich an die Hand und zeige dir mein Wunderland.
Hier gibt es Baumeister von Sandkreationen,
Muskelprotze und Klärstationen.
Es gibt Schleimkriecher und Wasserspucker,
Kopfspringer und Sandverschlucker,
Kämpfer, Tänzer, Grabemeister,
Produzenten von Meisterklebekleister,
Wohnungssucher, Seitwärtsläufer,
Aaskriecher und Kotanhäufer,
Lebenskünstler und Hüllenverlierer,
Sportskanonen und Wasserfiltrierer,
Kannibalen und Wellenreiter,
Rekordbrecher und so weiter und so weiter und so weiter,
es nimmt kein Ende.
Sie wuseln und kriechen und schleimen,
sie vereinen sich zum Liebesakt ganz nackt und vermutlich ohne Liebe.
Sie schwimmen und springen und rennen
und fressen manchmal sogar ihr eigenes Kind,
vermutlich, weil die der Nahrung so ähnlich sind.
Sie leben als Einzelkämpfer und in Kolonien,
stets bedacht, sich nicht mitreißen zu lassen von den Fluten, den Wellen,
die prellen ab von Häusern und Röhren,
die betörende Meisterwerke der Baukunst repräsentieren
und auf schier unfassbare Weise entstehen.
Es wird gekämpft, gefiltert und gejagt,
es ragen Schnorchelspitzen aus Wattbodenlöchern,
in denen Vogelschnäbel stöchern,
man sieht sich Kothaufen auf der Ebene kringeln, Kreaturen ringeln
und winken und schlängeln sich durch das belebte Wattenmeer.
Und auf einmal steht die Welt still.
Aber nicht, weil ich das will,
sondern,
weil die Uhr im Watt einfach anders tickt.
Der Takt der Gezeiten gibt den Pulsschlag an
und das Wasser läuft eben so gut ab wie es kann.
Und nun steh ich hier und schaue den Wellen nach,
blicke zum Horizont, ganz versonnen,
und sehe wie er sanft seine Weite präsentiert
und gerade zu philosophieren scheint,
ich stehe hier und schaue auf die Wolken,
die sich dem Himmel entgegentürmen und den Wellen entgegenstrecken,
während sie, die Möwen neckend,
sich zu feinen, weißen Wolkenstreifen verteilen,
zwischen denen die Sonnenstrahlen
den rauschenden Wellenkämmen hinterhereilen.
Sei Willkommen am Meer, nimm dir die Zeit,
um den weiten Horizont in deine Stimmung einzubauen,
hab Vertrauen in die Kraft der Wellen,
die rauschend in schnellaufbauenden Bahnen brechen,
bevor sie ihre Wassermassen in breiten, glitzernden Straßen
in dem weichen Bett der Sandkörner ausklingen lassen.
Atme die Meeresluft ein, lass sie durch deinen Körper reisen,
lass dich durch und durch mit den Sehnsüchten des Meeres durchströmen,
lass dich verwöhnen von Salzpartikeln und atme – ein – und aus.
Lass die Natur einmal reden,
und warte einfach nur auf den nächsten Windhauch,
der dir Geschichten erzählt und dir neue Sichtweisen zeigt.
Der sich verneigt vor dem Meer und vor der endlosen Weite,
die wie geblätterte Seiten in Lieblingsromanen vollgefüllt sind
mit warmen, starken und tragenden Worten,
die den Köpfen von zahlreichen Menschen entstammen,
die den Weg zum Meer suchen, um hier Ruhe zu finden
und jedes Jahr wieder ein paar rauschende Wellen
für ihre schwerwiegendsten Gedanken buchen.
Und so tragen die Wellen unsere Geschichten fort
und nehmen sie mit in Richtung Horizont,
während wir versonnen den im Sonnenlicht funkelnden Wellenspitzen nachschauen
und voller Vertrauen und Hoffnung sind,
während uns der Wind weiter Richtung Strand trägt
und diesen Augenblick mit einem tiefen Windhauch prägt.
Und nun stehe ich hier und schaue auf die Vögel am Horizont,
die im Wind ihre Plätze tauschen,
die Wellen rauschen,
sie kippen und türmen sich auf in von Stürmen geplanten Wellenbahnen,
sie glitzern und schäumen und bäumen sich auf …
und laufen langsam in Richtung deiner Fußspitzen aus,
die dort vorne verharren inmitten von Sandkörnern –
inmitten von meerbenetztem Nordseesand,
der elegant und geschmeidig durch die Strömung wieder zurück ins Meer rinnt.
Und so stehe ich hier und höre das Rauschen
von sich aufbauschenden Wellenkämmen,
während Wassertropfen in Sonnenstrahlen funkeln,
höre ich den Wind munkeln….
Und ich schaue dem Wasser in meinen Fußspuren hinterher….
Ich stehe am Meer.
(c) Christina Rehr, List/Sylt; Februar 2015